Nachruf Horst Bahr

HORST ERNST BAHR

* 29. Oktober 1928
† 30. Januar 2012

»Für die Welt warst du einer von vielen, für viele warst du die Welt!«

Zum Andenken an unser langjähriges Vorstandsmitglied, unseren 1., 2. und Ehrenvorsitzenden, und an einen ganz besonderen Menschen:

„Die Größe eines Menschen errechnet sich aus dem Verhältnis von Können und Bescheidenheit“

Mit diesem Zitat von Maria Wolf, das ich meiner Trauerrede bei der Beisetzung von Horst Bahr, am 03. Februar 2012 an den Schluss gestellt habe, möchte ich diese, von Herrn Bahr in dieser Form gewünschten Beilage zum Vereinsbrief 2012 beginnen.

Herr Bahr wollte keinen großen, gesondert verschickten Nachruf, der viele Zusatzkosten erfordert hätte, sondern eben diese bescheidene, kleine Beilage, die mit dem alljährlichen Vereinsbrief versendet werden sollte …
Diese Bescheidenheit war ihm eigen. Sie war nie aufgesetzt, gespielt, oder dazu da, um das Gegenteil, nämlich Bewunderung zu erreichen. Herr Bahr stand nie gerne Im Mittelpunkt. Er mochte weder, dass man viel Aufhebens um seine Taten und Person machte, noch verlangte er Dankbarkeit für seine Bemühungen. Ich habe bisher keinen zweiten Menschen kennengelernt, der so selbstlos ist, und ein so großer Menschenfreund.

Denn genau wie Hans Margolius wusste auch Herr Bahr, dass „alle Freude und alle Liebe zunächst die Freudeeines Menschen an einem anderen ist.“ So hat er sich stets an anderen Menschen erfreut, und zwar auch an solchen, die ihm zunächst abweisend und kritisch gegenüberstanden. Dies tun sowohl Eltern, die das Jugendamt um Hilfe in der Erziehung ihrer Kinder gebeten haben, wie auch solche, denen die „Fürsorge“ die Kinder zu deren und zum eigenen Schutz für eine Zeit entzogen hat. Auch Kinder und Jugendliche, die meist zunächst gegen ihren Willen und ihre Vorstellungen ins Heim mussten, stehen einem Heimleiter eher skeptisch, manchmal sogar feindselig gegenüber. Aber Herr Bahr konnte mit seinem „unerschütterlichen Geschick“ (Herbert Grönemeyer) „aus Trauer Trost machen und aus Feinden Freunde“ (Hanns Dieter Hüsch). Warum er das konnte, wusste er selbst nicht so genau – ihm ist eben einfach im richtigen Moment das Richtige eingefallen. Er war ein Pädagoge durch und durch, und glaubte fest an das Gute in jedem Menschen. Er konnte den guten Kern jedes Menschen erkennen, und das schwierige Verhalten von der Person trennen, me es zeigte. So einfach war wohl sein Rezept, um mit jedem richtig und gut umgehen zu können – egal, ob es ein/e Handwerkerin, ein/e Angestellte/reinerBehörde, ein/e Mitarbeiterin im Waisenhaus, ein/e pubertierende/r Jugendliche/r, ein kleines Kind, oder ein Elternteil war. Da er selbst dies alles gewesen ist in seinem Leben, konnte er alle Gefühle und Ängste verstehen, sie auffangen und zu einem neuen, alle Seiten zufriedenstellenden Beziehungsgefüge verbinden. Er konnte für eine Weile alles mit anderen Augen sehen – aus dem Blickwinkel seines Gegenübers. Diese Empathie, verbunden mit den eigenen Lebenserfahrungen befähigten ihn dazu, alles mit Bestimmtheit, Hingabe und Konzentration“ ein Stück voran zu bringen, ohne „einen Unterschied zu machen zwischen den kleinen und den großen Dingen“ (Jean Mannet) und den kleinen und den großen Menschen. Kinder und Erwachsene galten ihm stets gleich viel!

Sein Mut, seine Krah und seine Geduld machten sein Geschick aus, mit so vielen verschiedenen Menschen und Aufgaben angemessen und konstruktiv umgehen zu können. „Nimm die Menschen wie sie sind, du hast keine anderen“ – dieses Zitat von Konrad Adenauer machte er sich zum Leitmotiv für sein Handeln.

Er selbst war in Heimen, Pflegfamilien und der Hitlerjugend aufgewachsen, hat nie so richtig gewusst, warum er nicht bei seiner ledigen Mutter bleiben durfte, warum sein Vater sich nicht kümmerte. Er war mit 16 Jahren, gleich nach der Schule als Soldat in den Krieg verpflichtet worden. Danach hat er sich zum Sozialarbeiter weitergebildet und war in der offenen Jugendarbeit, in der Ausbildung von künftigen Sozialpädagoginnen und als Heimleiter tätig gewesen. Letzteres zum ersten Mal bereits im Alter von nur 29 Jahren. Er musste also in seinem Leben oft sich selbst und viele Hindernisse überwinden: So musste er z.B. bei seiner Bewerbung um die Leitung des Städt. Waisenhauses München, noch vor den versammelten Stadtrat treten und seine Vorzüge anpreisen. Horst Bahr konnte aber in vielen Zumutungen und Schwierigkeiten eben auch deren Chancen und Potentiale sehen

Deshalb empfand er die Residenzpflicht – also die Verpflichtung als Leiter des Waisenhauses dort auch zu wohnen – die er als letzter Münchner Heimleiter in seinem Arbeitsvertrag stehen hatte, nie als ein „Wohnen müssen im Heim, sondern stets als ein „Wohnen dürfen“. Eben eher als eine geeignete und gute Möglichkeit, privates Familienleben mit einem Leben in der Waisenhausfamilie verbinden zu können. Und weil ihm immer klar war, dass – wie Walter Dirks es formuliert – „ein einzelner Mensch allein die Welt nichttragen kann, aber dass man sich einander sehr wohl ein Stück weiterzuhelfen vermag“, führte er die bahnbrechenden, pädagogischen Ideen seines Vorgängers, Andreas Mehringer, fort, baute sie aus, und lebte den Gedanken und das Gefühl, dass ein Heim zum wirklichen Zuhause werden kann, auf vielfältigste Art und Weise um. Viel Miteinander und Füreinander, viele Rituale und prägende Ereignisse, wie Paddeltouren, die Oberbergalm, das Treppenhaussingen und die Bayerwaldferien verbanden während seiner über 24iährigen Leitung die Kinder, die Jugendlichen, die Betreuerinnen, die anderen Mitarbeiterinnen im Haus und viele Menschen „drum herum“ …Ebenso setzte er sein verbindendes Wirken noch weit über seinen Ruhestand hinaus in der Vereinsarbeit fort, um Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Ehemalige, die nicht in der Geborgenheit der eigen Familie aufwachsen durften, zu unterstützen, und die Heimarbeit an sich aus ihrem Schattendasein ins rechte Licht zu rücken. All dies tat er stets ohne den Fokus auf seine eigene Person zu setzen, frei nach seinem Lebensmotto von Laotse: „Gibst du einem Menschen einen Fisch, ernährst du ihn einen Tag – lehrst du ihm das Fischen, ernährst du ihn ein Leben lang.“

Mit großer Dankbarkeit und Hochachtung und in Liebe und Ehrfurcht wollen wir Mitarbeiterinnen, Referentinnen und Vorstandsmitglieder versuchen, den Verein in diesem, seinem Sinne weiter zu führen, und in unserem Tun diesen ganz besonderen Menschen – Horst Bahr – immer sicher in Gedanken und im Herzen zu tragen …

Im Namen aller Vereinsaktiven

Petra Krense
1. Vorsitzende Verein der Waisenkinder e.V.